Samstag, 19. April 2008

Eine Welt ohne Geld?

Ein Brief an „Die Presse“
von Ernst Dorfner
 
Lieber Herr Dr. Fleichhacker!
Der „Presse“ entnehme ich die Einladung zur Veranstaltung „Eine Welt ohne Geld“ am Joanneum in Graz am Donnertag dieser Woche. Es ist ein meist gemiedenes Thema, dem sich die Veranstalter hier angenommen haben. Über Geld und was Geld ist, spricht man nicht. Und so ist es durchaus bemerkenswert, wenn hier nun gesagt wird, dass Geld nicht nur Tauschmittel ist, sondern offensichtlich wesentlich mehr.
Was sind die Strukturen von Geld, auf Grund der es „sich längst zum wichtigsten Motor wirtschaftlicher Aktivität, Ausdruck materiellen Reichtums und Symbol ökonomischer Macht entwickelt“ hat? Sollte das mehr sein als nur ein Phänomen sein, das da auf die Menschheit – oder einen Teil davon - herabgefallen ist, sondern etwas von den Menschen zwar nicht so entworfenes aber doch von Menschen gemachtes sein, dann sollte es hierfür eine wissenschaftlichen Klärung geben. Die herkömmliche Lehre hat dazu jedoch keine Antwort, für sie ist Geld noch immer neutral, also ohne wesentlichen Einfluss auf die wirtschaftliche Dynamik. Sie geht davon aus, dass unsere Wirtschaft eine Tauschwirtschaft ist, und Geld ein Mittel zur Vereinfachung des Tauschvorganges, der sgn. „Doppelten Koinzidenz“. Tauschen ist ein Vorgang, der keine Zeit braucht. Es gibt nur einen Zeithorizont, in dem Waren gegen Waren oder auch gegen Geld getauscht werden. Das Geben und das Nehmen erfolgt in einem Zug.
Dass Geld mehr ist als ein Tauschmittel, hierfür finden wir eine Antwort bei Hans Ch. Binswanger in seinem neuen Buch „Die Wachstumsspirale“. Binswanger vertritt dort die Meinung, dass unsere Wirtschaft keine Tauschwirtschaft ist, sondern eine Wirtschaft, in der vorher produziert werden muss, ehe etwas überhaupt getauscht werden kann. Es geht also vielmehr um das Produzieren als um das Tauschen.
Binswanger versucht auch zu klären, was denn Geld ist und wie es entsteht. Es fällt ja nicht einfach vom Himmel. Er vertritt die durch die Bilanzen der Banken gestützte Einsicht, dass die Banken für die Vergabe von Krediten nicht (nur) auf die Einlagen der Sparer angewiesen sind, sondern Kredit und damit Geld – einfach durch Bilanzverlängerung - selbst schöpfen können. Damit aber wird es auch möglich, dass die Unternehmen zusätzliches Geld aufnehmen und damit mehr ausgeben als sei einnehmen. Eine Meinung, die schon Schumpeter vertreten hat: „Kredit ist wesentlich Kaufkraftschaffung zum Zweck ihrer Überlassung an den Unternehmer, nicht aber einfach Überlassun von vorhandener Kaukraft.“ (1926) . Und Albert Hahn meinte in den 1930-iger Jahren: „Das Aktivgeschäft kommt vor dem Passivgeschäft“.
Es wäre deshalb schön, wenn eine ähnliche Veranstaltung mit Prof. Binswanger, mit dem ich freundschaftlich verbunden bin, veranstaltet werden könnte.
Nun aber zur Frage: Eine Welt ohne Geld?
Kann überhaupt ohne Geld eine Produktion, die ja heute eine hoch arbeitsteilige ist, in einer Welt des privaten Eigentums erfolgen? Die Produktion ist ja – mit vernachlässigbaren Ausnahmen - nur möglich durch den Zugriff auf das Eigentum anderer, seien es Vormaterialien, Betriebsmittel und auch Lohnarbeit. Und über letztere auch der Zugriff auf die am Ende der Produktionshierachie hergestellten und in unzähligen Verkaufsstellen angebotenen Konsumgüter.
Mit diesem Zugriff auf Eigentum entstehen aber Schulden des Zugreifers gegenüber dem ursprünglichen Eigentümer, die dann irgendwann getilgt werden müssen.
Wie aber kann nun diese Tilgung geschehen? Denkbar sind zwei Wege, ein geldloser und einer über Geld.
1. In einer geldlosen Wirtschaft muss der Produzierende mit den Lieferanten und Lohnempfängern überein kommen, die Schulden durch Abtretung eines bestimmten Anteils an dem gemeinsam Produzierten zu tilgen. Es werden also Güter und Leistungen genommen und und zeitlich später andere zur Tilgung der Schulden auch wieder gegeben.
Dass dieser Weg nun nicht besonders weit, aber jedenfalls nicht zu unserer hochkomplexen und hochproduktiven Wirtschaftsstruktur führen kann, versteht sich sehr rasch. Die Gläubiger können ja nur sehr selten mit dem jeweils Produzierten als Konsumenten noch als Produzierende etwas anfangen.
Um das anschaulicher zu machen, vergleichen wir das mit einem Telefonnetz, das in diesem Fall nur Anschlüsse zu den nächsten Nachbarn kennt, die dann wieder an ihre Nachbarn weitervermitteln können. Auch hier ist eine Verbindung mit einer Anschlussstelle weitab in Netz möglich, der ganze Vorgang ist aber sehr langwierig, zeitaufwendig und fehleranfällig. Praktisch wird die Reichweite eines solchen Telefonnetzes nicht sehr groß sein.
Auf unsere Wirtschaftsstruktur bezogen, heißt das: Mit der Zugriffsmöglichkeit auf ein Konsumgut ist großteils ein weitab im Netz liegender Anschluss gesucht, der einen zeitaufwendigen Verbindungsaufbau braucht.
Damit also nicht alle sehr lange warten müssen, bis etwas individuell Brauchbares entsteht - in letzter Konsequenz ein Konsumgut – kann die Produktionshierarchie jedenfalls nicht so tief und vielschichtig sein, wie sie es in den Industrieländern heute ist. Zugleich wird sich der Inhalt der Produktion eher nach dem schon Bekanntem richten, und damit nach den in der Vergangenheit als Schuldentilgung vereinbarten Erzeugnissen.
Nun wird von manchen als Vorteil der Schuldentilgung über Waren gewertet, dass der Absatz vereinbarungsgemäß gesichert ist. Aber eben erst in Zukunft, wenn die Güter und Leistungen fertig sind. Auf sie beziehen sich dann aber auch die Schuldvereinbarungen. Dies schränkt damit aber auch die Dispositionsfreiheit ein. Das ganze System ist damit eher statisch, nicht von Dynamik und Innovationen, von technischem Fortschritt bestimmt. Es braucht die Fähigkeit, auf die Schuldentilgung warten zu können, braucht Geduld und Vorräte statt Dynamik.
Und es fragt sich auch, wie weit hier eine Akzeptanz für einen Einsatz von Ressourcen für Innovationen und technischen Fortschritt erzielt werden kann. Im Gegensatz zum anderen Weg, auf dem mit dem Geldeinkommen eine List wirksam wird, welche beim einzelnen Menschen keinen Brotneid aufkommen lässt. Dass somit ohne weiteres jeder einverstanden ist, dass am „Esstisch“ auch solches „Gevolk“ Platz nimmt, das nicht gleich Produkte hervorbringt, sondern „nur“ forscht und erfindet, ist ja nicht selbstverständlich.
2. Das Unternehmen finanziert – so wie es ja heute der Fall ist - die Produktion und damit alle Zukäufe und Lohnzahlungen sowie Steuern und Abgaben mit Geld vor.
Diese Art der Produktion unterscheidet sich in ihren Strukturen von der oberen entscheidend. Im Vergleich ist sie mit einem Telefonnetz zu vergleichen, dass über Anschlüsse an einen Hauptknoten verfügt, die wieder untereinander verbunden sind. Gleichermaßen macht die Vorfinanzierung mit Geld es möglich, dass die Schulden bei den Vorlieferanten und Lohnabhängigen sofort mit Geld getilgt werden können, auch wenn sie in der Hierarchie fernab von der jeweiligen Produktion liegen. Die Produzenten werden allerdings von ihren Schulden nicht befreit. Sie haben sie „nur“ gegen Schulden gegenüber den Kredit gebenden Banken ausgetauscht. Etwas, was in den Bilanzen deutlich zum Ausdruck kommt.
Damit können sich nun zu aller erst die Konsumenten – aber auch die weiterverarbeitenden Unternehmen auf die schon fertigen Produkte – für die Konsumenten die Konsumprodukte - zurückgreifen.
Der wirtschaftliche Prozess bewegt sich auf zwei zeitlich verschieden hohen Zeithorizonten –und nicht auf einer gleichen Ebene. Diese deshalb zu überwindende Treppe erfordert deshalb auch „stufengängige“ Instrumente, die mit dem gegeben sind, was wir „Kredit und Geld“ nennen. Die Banken stellen den Zusammenschluss beider Horizonte her.
Diese weitaus größere Beweglichkeit bedeutet nun für manche auch die Kehrseite zu obigen System. Mit Geld erfolgt nicht nur eine zeitliche Trennung zwischen Nehmen und Geben, was Schulden bedingt. Es geht auch um die dadurch gewonnene Wahlfreiheit des Zugriffs auf bereits Fertiges vermittels des Geldes, und nicht um den Tausch untereinander von zur gleichen Zeit Produziertem. Ein Gleichgewicht kann es in der Ungleichzeitigkeit grundsätzlich nicht geben. Das Gleichgewicht, das etwa Walker irrigerweise beschreibt:
“Die gesamte Produktionsleistung, welche die Wirtschaft eines Volkes geschaffen hat, repräsentiert rechnerisch genau das Volkseinkommen aller Einzelglieder dieses Volkes für den in Betracht gezogen Zeitraum. Dementsprechend müsste dieses Volkseinkommen völlig hinreichend sein, die betreffende Produktionsleistung vom Markt zu nehmen, wobei, wie gesagt, das Einkommen des einen stets vollständig als Nachfrage des anderen aufzutreten hätte.” (K. Walker, Aktive Konjunkturpolitik, 1935, S:11).
Damit ist auch der Absatz in jeder Periode nicht schon von vorneherein festgelegt und gesichert. Mit der Verwendung von Geld steigt somit auch das unternehmerische Risiko.
Dieses ganze System ist jedoch viel beweglicher und „unternehmerischer“. Die Bedingungen für Innovationen sind hier weitaus günstiger. Da nämlich die Unternehmen zusätzliche Kredite für Netto-Investitionen aufnehmen können, können sie auch zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Arbeitseinkommen schaffen.
Da die bereits fertigen und vorhandenen Konsumgüter nun aber durch eine insgesamt höhere monetäre Einkommensmenge nachgefragt,werden, sinkt der Reallohn des einzelnen Beschäftigten. Trotzdem wird dieser Vorgang nicht nur akzeptiert, sondern von Arbeitnehmerseite selbst gefordert, ist doch damit der Schritt zur Vollbeschäftigung verbunden.
Die höhere Nachfrage fördert nun aber auch das Erzielen von Netto-Gewinnen über die ganze Volkswirtschaft (positiver makroökonomischer Gewinnsaldo). Dieser Weg wird deshalb ebenso von der Wirtschaft angenommen, so lange die zukünftige Amortisation der Investitionen gesichert erscheint.
Das Ganze ist ein hochkomplexes System, das durch Kredit und Geld seine Logistik erhält. Eine Wirtschaft ohne Geld würde somit mit großer Wahrscheinlichkeit unser ganzes Zivilisations-System zum Einsturz bringen. Wobei das Geldsystem die oben angedeutete „Stufengängigkeit“ haben muss.
Mit freundlichem Gruß
Ernst Dorfner

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